Erinnern Sie sich noch an 2018? Als die DSGVO in Kraft trat, herrschte vielerorts Hektik und Unsicherheit. Viele Unternehmen wurden von den neuen Datenschutzanforderungen überrascht und mussten unter Zeitdruck ihre Prozesse anpassen. Nun steht die nächste große Veränderung unmittelbar bevor: Der European Accessibility Act (EAA), der bereits in wenigen Monaten verbindlich wird [1]. Und auch diesmal droht vielen Unternehmen eine böse Überraschung – wenn sie nicht sofort handeln.
Wer ist betroffen – und wer nicht?
Zunächst die gute Nachricht für viele kleine Unternehmen: Der EAA gilt nicht für alle. Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme unter zwei Millionen Euro sind von den Verpflichtungen ausgenommen [2]. Das bedeutet konkret: Der typische Handwerksbetrieb, die kleine Boutique oder das lokale Café müssen ihre Websites nicht zwingend anpassen – auch wenn es natürlich im Sinne der Kundenfreundlichkeit empfehlenswert sein kann.
Für alle anderen Unternehmen, die in der EU tätig sind, wird der EAA jedoch zur Pflicht. Besonders wichtig: Die Regelungen gelten auch für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, sofern sie ihre Produkte oder Dienstleistungen im EU-Raum anbieten [3]. Ausgenommen sind nur rein private Webseiten und welche, die sich ausschließlich an B2B-Kunden richten.
Vorbereitungen bei 70six Webservices
Wir berücksichtigen die technischen Anforderungen des EAA bereits weitestgehend in der Planung und Umsetzung neuer Projekte. Dabei orientieren wir uns an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)-Richtlinien, die auch dem EAA zugrunde liegen.
Was der EAA konkret bedeutet
Der European Accessibility Act wurde bereits im Juni 2019 verabschiedet und wird nun am 28. Juni 2025 verbindlich [4]. In Deutschland wird er durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt [5]. Das Ziel ist eindeutig: Die digitale Welt soll für alle Menschen zugänglich sein – unabhängig von körperlichen oder geistigen Einschränkungen.
Die technischen Anforderungen basieren auf den WCAG [6], die vier zentrale Prinzipien definieren: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Diese Prinzipien bilden das Fundament für eine barrierefreie Website:
Wahrnehmbarkeit: Inhalte für alle erkennbar machen
Alle Informationen auf Ihrer Website müssen so aufbereitet sein, dass sie von jedem wahrgenommen werden können – unabhängig von möglichen Einschränkungen. Das bedeutet konkret:
- Textalternativen für Bilder: Jedes Bild braucht eine klare Beschreibung, damit auch Menschen mit Sehbehinderung verstehen, was gezeigt wird. Ein Produktfoto eines roten Pullovers sollte beispielsweise nicht einfach mit „Bild“ beschrieben sein, sondern mit „Roter Wollpullover mit V-Ausschnitt“.
- Untertitel für Videos: Wenn Sie Produktvideos oder Imagefilme einsetzen, müssen diese mit Untertiteln versehen sein. So können auch gehörlose Menschen dem Inhalt folgen.
- Guter Kontrast: Texte müssen sich deutlich vom Hintergrund abheben. Hellgraue Schrift auf weißem Grund mag modern aussehen, ist aber oft schwer zu lesen.
- Anpassbare Darstellung: Ihre Website muss auch funktionieren, wenn Nutzer die Schrift vergrößern oder die Farben des Bildschirms ändern.
Bedienbarkeit: Navigation für alle zugänglich gestalten
Ihre Website muss mit verschiedenen Eingabemethoden bedienbar sein – nicht jeder kann eine Maus benutzen. Dazu gehört:
- Tastatursteuerung: Alle Funktionen müssen auch ohne Maus erreichbar sein. Der Nutzer muss mit der Tab-Taste durch alle Menüpunkte und Links navigieren können.
- Ausreichend Zeit: Wenn Sie zeitgesteuerte Funktionen einsetzen (etwa bei Formularen oder Buchungsprozessen), müssen Nutzer die Zeit verlängern oder die Zeitbegrenzung ausschalten können.
- Keine Überraschungen: Vermeiden Sie blinkende Inhalte oder automatische Weiterleitungen. Diese können nicht nur störend sein, sondern bei manchen Menschen sogar gesundheitliche Probleme auslösen.
- Orientierungshilfen: Nutzer müssen jederzeit wissen, wo sie sich auf Ihrer Website befinden. Ein „Breadcrumb-Navigation“ (z. B. „Startseite > Produkte > Pullover“) ist hier sehr hilfreich.
Verständlichkeit: Inhalte klar und eindeutig präsentieren
Ihre Website muss intuitiv bedienbar und inhaltlich verständlich sein:
- Einfache Sprache: Vermeiden Sie unnötige Fachbegriffe. Wenn Sie sie doch verwenden müssen, erklären Sie sie.
- Klare Struktur: Formulare und Eingabefelder müssen eindeutig beschriftet sein. Bei einem Adressformular sollte zum Beispiel klar sein, welche Felder Pflichtangaben sind.
- Konsistente Navigation: Menüs und Funktionen sollten auf allen Seiten an der gleichen Stelle zu finden sein.
- Fehlerprävention: Bei wichtigen Aktionen (wie dem Absenden einer Bestellung) sollten Nutzer die Möglichkeit haben, ihre Eingaben zu überprüfen und zu korrigieren.
Robustheit: Technische Kompatibilität sicherstellen
Ihre Website muss mit verschiedenen Browsern und Hilfsmitteln funktionieren:
- Standardkonforme Programmierung: Der Code Ihrer Website muss den HTML-Standards entsprechen.
- Kompatibilität: Die Seite muss mit verschiedenen Browsern und Versionen funktionieren.
- Unterstützung von Hilfsmitteln: Screenreader und andere Hilfsprogramme müssen die Inhalte korrekt interpretieren können.
- Zukunftssicherheit: Die technische Basis sollte so gestaltet sein, dass sie auch mit künftigen Browser-Versionen und Hilfsmitteln kompatibel bleibt.
Die Umsetzung dieser Prinzipien mag auf den ersten Blick aufwendig erscheinen. Doch viele der Anforderungen lassen sich bereits bei der Planung einer Website berücksichtigen – was später Zeit und Kosten spart. Außerdem profitieren nicht nur Menschen mit Einschränkungen von einer gut strukturierten, klar verständlichen Website. Eine barrierefreie Gestaltung verbessert die Nutzererfahrung für alle Besucher und kann sich positiv auf Ihre Conversion-Rate auswirken.
Der Zeitplan wird eng
Mit Blick auf den Kalender wird deutlich: Die Zeit drängt. Bis zum 28. Juni 2025 – also in weniger als sechs Monaten – müssen alle neuen digitalen Produkte und Dienstleistungen die Anforderungen erfüllen. Für bestehende Websites gibt es zwar eine Übergangsfrist bis 2030 [7], aber die Erfahrung zeigt: Je früher Sie mit den Anpassungen beginnen, desto besser.
Ein realistischer Zeitplan für die kommenden Monate könnte so aussehen:
Januar/Februar 2025: Sofortige Analyse Ihrer bestehenden Website und Identifikation der wichtigsten Handlungsfelder. Nutzen Sie dafür Tools wie WAVE oder den Colour Contrast Analyser für eine erste Einschätzung [8].
März/April 2025: Umsetzung der dringendsten technischen Anpassungen, insbesondere bei neuen Projekten oder geplanten Relaunches.
Mai/Juni 2025: Intensive Testphase und finale Optimierungen, um pünktlich zum Stichtag die wichtigsten Anforderungen zu erfüllen.
Die Vorteile der Barrierefreiheit für Ihr Unternehmen
Die Zahlen sprechen für sich: In Europa leben rund 87 Millionen Menschen mit Behinderungen. Hinzu kommen viele ältere Menschen mit altersbedingten Einschränkungen, die ihre Internetnutzung beeinflussen. Zusammen bilden sie eine kaufkräftige Zielgruppe – die Sie mit einer barrierefreien Website direkt ansprechen können [9].
Doch der wirtschaftliche Nutzen geht weit über diese zusätzliche Zielgruppe hinaus:
Bessere Auffindbarkeit in Google: Viele Maßnahmen für Barrierefreiheit, wie klare Überschriften und gut strukturierte Inhalte, verbessern gleichzeitig Ihr Ranking in Suchmaschinen.
Einfachere Pflege der Website: Eine gut strukturierte, barrierefreie Website lässt sich auch intern leichter aktualisieren und pflegen.
Höhere Nutzerzufriedenheit: Was Menschen mit Einschränkungen hilft, macht die Website auch für alle anderen Besucher benutzerfreundlicher – das wirkt sich positiv auf Ihre Conversion-Rate aus.
Rechtliche Sicherheit: Sie vermeiden Abmahnungen und mögliche Bußgelder, die in Deutschland bis zu 100.000 Euro betragen können [10].
Eine barrierefreie Website ist also keine reine Pflichtübung, sondern eine Investition in die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens. Sie öffnen sich nicht nur neue Märkte, sondern verbessern auch die Qualität Ihres Webauftritts insgesamt.
Die technische Umsetzung im Detail
Die konkrete Umsetzung der WCAG-Richtlinien erfordert sowohl technisches Know-how als auch inhaltliches Fingerspitzengefühl [6]. Ihre Website muss beispielsweise eine klare Struktur mit logischen Überschriften aufweisen, ARIA-Attribute für dynamische Inhalte verwenden und eine konsistente Navigation bieten. Texte sollten in klarer, einfacher Sprache verfasst sein, und alle interaktiven Elemente müssen auch per Tastatur bedienbar sein.
Fazit: Zeit für konkrete Schritte
Die Erfahrung mit der DSGVO hat gezeigt, dass eine frühzeitige Vorbereitung entscheidend ist. Mit nur noch wenigen Monaten bis zum Inkrafttreten des EAA ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um aktiv zu werden. Die Webentwicklung bei 70six Webservices orientiert sich an den EAA-Anforderungen – kontaktieren Sie uns für eine Analyse Ihrer Website.
Häufig gestellte Fragen zum European Accessibility Act
Ab wann gilt der EAA verpflichtend? Der EAA wird am 28. Juni 2025 verpflichtend für alle neuen Websites und digitalen Dienste. Für bestehende Websites gilt eine Übergangsfrist bis zum 28. Juni 2030.
Welche Unternehmen sind von der Regelung ausgenommen? Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme unter 2 Millionen Euro müssen die EAA-Anforderungen nicht verpflichtend umsetzen.
Welche Strafen drohen bei Nichteinhaltung? In Deutschland können bei Verstößen gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Bußgelder von bis zu 100.000 Euro verhängt werden. Zusätzlich drohen mögliche Abmahnungen und Klagen von Verbraucherschutzverbänden.
Was bedeutet WCAG-Konformität? Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definieren internationale Standards für barrierefreie Websites. Der EAA verlangt die Einhaltung dieser Richtlinien, die auf den vier Grundprinzipien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit basieren.
Wie kann ich prüfen, ob meine Website bereits barrierefrei ist? Es gibt verschiedene automatisierte Prüftools wie WAVE oder den Colour Contrast Analyser. Eine vollständige Prüfung sollte jedoch auch manuelle Tests und die Überprüfung durch Experten beinhalten.
Gilt der EAA auch für Unternehmen außerhalb der EU? Ja, der EAA gilt für alle Unternehmen, die ihre Produkte oder Dienstleistungen in der EU anbieten – unabhängig von ihrem Firmensitz.
Was kostet die Umsetzung der Barrierefreiheit? Die Kosten variieren je nach aktuellem Stand Ihrer Website und dem Umfang der notwendigen Anpassungen. Eine frühzeitige Planung und schrittweise Umsetzung kann die Kosten jedoch deutlich reduzieren.
Muss ich meine bestehende Website komplett neu erstellen? Nicht zwangsläufig. Viele Aspekte der Barrierefreiheit lassen sich durch gezielte Anpassungen umsetzen. Bei einer ohnehin geplanten Neugestaltung sollten die EAA-Anforderungen jedoch von Anfang an berücksichtigt werden.
Wer kann mir bei der Umsetzung helfen? Spezialisierte Webentwickler und Agenturen wie 70six Webservices können Sie bei der Analyse Ihrer Website und der Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen unterstützen.
Gibt es Fördermöglichkeiten für die Umsetzung? Die Verfügbarkeit von Fördermitteln kann je nach Bundesland und Branche variieren. Informieren Sie sich bei Ihrer örtlichen IHK oder Wirtschaftsförderung über mögliche Unterstützungsprogramme.
Weiterführende Informationen und Quellen
- European accessibility act – European Commission
- European Accessibility Act 2025 Comprehensive Guide
- European Accessibility Act 2025 | Key Steps for Compliance
- The European Accessibility Act 2025: Everything you need to know
- Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
- The BFSG and the WCAG: Mandatory accessible website 2025
- Digitale Barrierefreiheit: Tools und Materialien
- Der European Accessibility Act: Was bedeutet er für dich?
- Barrierefreiheit richtig umsetzen
- Web Accessibility Evaluation Tools List